Gestaltung und Implementierung altersgerechter Räume in innerstädtischen Bestandsnachbarschaften.
Masterarbeit von Charlotte Dahmen und Marlene Kossmann
Wir alle altern von der Sekunde an, in der wir leben. Während dieses unaufhaltsamen Prozesses wird der Bezug zur eigenen Wohnung, zum eigenem Haus, zum gewohnten Quartier immer größer. Erinnerungen und Erlebnisse stecken in den Dingen, die sich im Laufe des Lebens ansammeln: den Tellern an der Wand, den Straßen, auf denen wir laufen und den Menschen denen wir dort begegnen. Diese Dinge definieren ein Zuhause und bieten Orientierung. Es wächst der Wunsch, im vertrauten Viertel wohnen zu bleiben. Doch was passiert, wenn man die Treppe nicht mehr hoch kommt? Die häufig genannte Antwort ‚Altersheim‘ kann und darf nicht alternativlos bleiben, vor allem in Hinblick auf die stetig alternde Bevölkerung!
Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil bildet das theoretische Fundament, welches sich mit der grundlegenden Frage des Alterns, gesellschaftlich und räumlich auseinandersetzt. Es werden Probleme und Lösungsansätze aufgezeigt, die im zweiten Teil ortsspezifisch angewendet werden. Konkret wird das Viertel Flingern Nord (Düsseldorf) betrachtet und dessen städtische Typologien angeschaut. Wir entdecken eine Zeile, einen Altbau im Block und ein Punkthaus. Ausgehend von den Gebäuden wird jeweils ein pantoffelläufiger Radius von 500 Metern gezogen, der Untersuchungsraum für Stadtbeobachtungen wird. Im Anschluss beginnt eine Geschichte, die von der Transformation dreier Bestandsgebäude erzählt und anhand von träumerischen Visionen eine altersgerechtere Stadt zeichnet. Bei der Entwicklung dieser Räume sind mehrere, durch uns teils neu definierte Betrachtungsebenen relevant: die altersgerechte Stadt, die Gemeinschaft und der private Raum, repräsentiert durch das Badezimmer. Die Interventionsvorschläge der Häuser erfolgen entsprechend dieser Ebenen und basieren immer ortsspezifisch auf der vorausgegangenen Bestandsanalyse. Jede Vision lässt sich so einer theoretischen Idee zuordnen.
…in Zeilen
Wir starten nun einen sinnbildlichen Spaziergang an der ersten Typologie, den Zeilen. Das Bild ist geprägt von neun monotonen Wohn-Zeilen, zwischen denen teilweise aufgereihte Garagen stehen. Im pantoffelläufigen Radius fehlt es an Nutzungen und die Gebäude sind nicht barrierefrei zugänglich. Was verändern wir also? Auf der Ebene der altersgerechten Stadt wird im leerstehenden Kiosk ein Lebensmittelgeschäft und ein multipler Raum eingerichtet. Die Garagen erhalten öffentliche Toiletten und in den Zeilen entstehen Kurzzeitwohnungen für Menschen mit akutem Pflegebedarf. Auf der Ebene der Gemeinschaft wird der Eingang der alten Zeile auf die andere Seite verlegt. Dadurch entsteht eine gemeinsame Adresse und ein ‚lauter Hof‘. Ein Laubengang mit Pufferzone schafft Begegnungsräume. Zudem sind Gästewohnungen in den Zeilen vorgesehen. Auf der Ebene des Bades reizen wir die ohnehin erforderlichen DIN-Anforderungen der Barrierefreiheit aus und machen es zum Entwurfsthema: das Bad wird Aufenthaltsraum.
…im Block
Wir kommen an einem städtischen, typischen Blockrand vorbei, der von außen hübsch angemalt ist. Von Barrierefreiheit fehlt hier jede Spur. Zwei Stufen führen zur ersten Wohnung und es gibt keinen Aufzug, geschweige denn genug Platz in den Bädern. Auf der Ebene der altersgerechten Stadt bieten neue Bänke in den alten Eingängen eine Rastmöglichkeit. Insgesamt werden alle Wohnungen barrierefrei umgestaltet. Dies wird durch die Ebene der Gemeinschaft unterstützt: Die Adressen der betrachteten Häuser werden zusammengeführt, und ein gemeinsamer grüner Innenhof entsteht. Der Hintereingang wird zum neuen Haupteingang, und eine Rampe führt zu einer gemeinsamen Terrasse, die von einem Aufzug erschlossen wird, der drei Häuser gleichzeitig bedient. Auf der Ebene des Bades wird das Durchgangsbad zur Lösung des Platzproblems. Es funktioniert wie ein flexibles Möbelstück, das bei Bedarf auf- oder zugeklappt werden kann. Dadurch wird eine rollstuhlgerechte Nasszelle ermöglicht.
…im Punkthaus
Wir erreichen das Punkthaus, dessen Umgebung von steigenden Mieten und wachsendem Kleingewerbe geprägt ist. Dem typischen Verdrängungsprozess wollen wir entgegenwirken: Das seit 15 Jahren leerstehende Hochhaus soll für altersgerechte Wohnformen im Quartier saniert und genutzt werden. Im zweigeschossigen Anbau soll eine Tagespflege (mit öffentlich zugänglichem Dach) Platz finden. Die Erschließung des Haupthauses erfolgt über den Hof, der eine neue öffentliche Toilette beherbergt. Gemeinschaftsräume wie ein Musikraum, Fitnessbereich sowie ein Waschraum im Dachbereich (9.OG) ergänzen das Angebot. Kurzzeitwohnungen, Gästewohnungen und Pflege-Wohngemeinschaften mit Zugang zur Tagespflege vervollständigen das Konzept. Neben den Pflege WGs sind auch klassische Apartments vorgesehen. Auf der Ebene des Badezimmers sorgt eine minimale Duschtoilette, mit außenliegendem Waschbecken, für eine maximale Platzausnutzung der privaten Zimmer.
Am Ende dieses Spaziergangs bleiben Erinnerungen, Eindrücke und Forderungen. Das ‚wohnen bleiben‘ im Quartier ist ein zentraler Wunsch, dem mit dieser Arbeit Gehör verschafft werden soll. Innerstädtische Bestandsnachbarschaften bieten großes Potenzial für altersgerechten Wohnraum. Es ist möglich, vorhandene Infrastrukturen und verschiedene Typologien zu nutzen, um Veränderungen zu bewirken. Wir haben gezeigt, dass sich Strategien auf den Bestand übertragen lassen und in individuellen Lösungen für die einzelne Stecknadel ausgearbeitet werden müssen, in dem man Räume auf den verschiedenen Betrachtungsebenen hinterfragt und entsprechend den Herausforderungen gegebenenfalls neu interpretiert. So können wir etwa ein Badezimmer zum Durchgangsbad oder Wohnbad umgestalten!
Der Wohnraum für ältere Menschen ist eine gestalterische Herausforderung voller Potenzial. Unser Ziel ist es, dem Thema seine Schwere zu nehmen und den Fokus auf die kreative Kraft hinter barrierefreier Architektur zu lenken. Um es in den Gegensätzen der altersgerechten Architektur zusagen: Eine Arbeit zwischen Zahl und Poesie.
Die Master-Thesis wurde von Prof. Jan Kampshoff (TU Berlin) und Prof. Anne-Julchen Bernhardt (RWTH Aachen) betreut.