Ein architektonisches Konzept zur Renaturierung von Mooren
Masterthesis von Josephin Brewitt
Moore in Brandenburg
In Brandenburg befinden sich rund 264.400ha Moorfläche. Davon wurden etwa 93% zu landwirtschaftlichen Zwecken entwässert – knapp 10% davon gehören zum Rhinluch in Ostprignitz-Ruppin, auf das sich diese Arbeit bezieht.
Um die Klimaziele der EU für 2050 zu erreichen, müssen laut EU-Klimagesetz bis 2030 bis zu 55% der Emissionen gegenüber 1990 reduziert werden – wesentliche Faktoren für das Erreichen dieser Ziele sind dabei die Reduzierung von Treibhausgasen aus trockengelegten Mooren, der Landwirtschaft, sowie der Bauindustrie. Allein durch die Wiedervernässung der Moore ließen sich jährlich rund 40 Millionen Tonnen CO2 einsparen (Tanneberger, F. et al. (2023).
Diese Arbeit entwirft ein Szenario, in dem Teile des Rhinluchs wiedervernässt und die Renaturierung als Chance genutzt wird, um Dorf und Landschaft stärker miteinander zu verbinden. Gleichzeitig wird ein landwirtschaftlicher Ansatz entwickelt, der das Land weiterhin nutzbar macht. Dazu wird ein Masterplan erarbeitet, der dann beispielhaft Anwendung findet: In Walchow entsteht ein Moorzentrum für Paludikultur (lat. palus für Sumpf, landwirtschaftliche Nutzung nasser Moorflächen), Forschung und Handwerk, in dem neue Ernteprodukte entwickelt und erprobt werden können. Dieser Ort soll als Praxisstandort in die weite Umgebung wirken, die Nachfrage an der Nahversorgung im Dorf erhöhen und so strukturellen Schwächen der ländlichen Siedlungen entgegenwirken.
Das Rhinluch
Im Landkreis Ostprignitz-Ruppin liegt zwischen Fehrbellin und Neuruppin die Dorfstraße L165, die wie eine Perlenschnur gleich mehrere Liniendörfer hintereinander aufreiht: Von Osten aus führt sie durch Langen, Walchow, Protzen und Manker – Orte, die auf den ersten Blick wie gewöhnliche Straßendörfer erscheinen. Mit Blick auf die Landschaft wird jedoch deutlich, dass es sich um vier Moorhufensiedlungen handelt, die die Grenze zu dem darunter liegenden Rhinluch (Niedermoor) bilden. Das Verhältnis der Siedlungen und ihrer Umgebung hat sich jedoch stark verändert. Bereits in der friderizianischen Zeit wurde damit begonnen, das Rhinluch zu entwässern, um Land zu gewinnen. Später wurde großmaßstäblich Torf abgebaut und ab 1910 durch die neu gegründete Rhinluch-Meliorations-Genossenschaft planmäßig über ein Kanalnetz entwässert.
Umgang mit der Landschaft
Um trockengelegte Moore wieder nasszulegen, gibt es von der kompletten Schließung bis hin zur Ertüchtigung bestehender Entwässerungskanäle unterschiedliche Ansätze. Ziel dieses Projektes ist es, das Moor in einen naturnahen Zustand zurückzuführen; Strukturen der vorgefundenen Kulturlandschaft sollen erhalten bleiben, und zu einer neuen, nassen Moorlandschaft (ver-)wachsen. Eine naturnahe Landschaft und das Landwirtschaften in Form von Paludikultur sollen dabei im Einklang stehen.
Dorf und Landschaft
Die vier für diese Arbeit betrachteten Moorhufensiedlungen ähneln sich typologisch stark in Größe, Anordnung und in den vorhandenen Gebäudetypen. Während die Dorfstraße eine starke Linearität vorgibt, verlaufen die Flurstücke orthogonal dazu. Jedes Grundstück hat eine beträchtliche Länge von bis zu 150 m, die aus der damaligen Nutzung des zur Moorseite gewandten Gartens zur Selbstversorgung resultiert. Diese Nutzung ist heutzutage kaum noch zu beobachten, sodass große Teile der Grundstücke leer stehen und eine Trennung zwischen viel genutzter Vorder- und kaum zugänglicher Rückseite entsteht.
Die bauzeitliche Gebäudetypologie ist der Dreiseiten-Hof: Die bestehende Bebauung folgt dem regelmäßigen Wechsel von horizontal zur Dorfstraße liegenden Wohnhäusern und vertikalen, in die Landschaft gerichteten Scheunen. Während die Haupthäuser über die Jahre besser gepflegt und instand gehalten wurden, sind viele der Scheunen stark beschädigt, verfallen oder bereits abgerissen. Dieses Potenzial wird für die Erweiterung durch ein Moorzentrum genutzt.
Das Moorzentrum
Der Entwurf nimmt die städtebauliche Körnung der Scheunentypologie auf und erweitert diese. Als Verbinder zwischen Dorfstraße und Moor leiten vier neue „Scheunen“ den Weg zum Moor ein. Sie bieten Raum, um über Moorschutz und Paludikultur aufzuklären, und dienen als Forschungs-, Lehr- und Produktionsstätten für neue (Bau-)Materialien und Handwerk. Von hier aus wird auch die Wiedervernässung gestartet und hydrologisch beobachtet. Diese räumliche und institutionelle Verbindung von Forschung, Landwirtschaft, Bildung und Tourismus soll Dorf und Landschaft wieder stärker verbinden.
Durch die Setzung der Gebäude entstehen verschiedene Innen- und Außenraumqualitäten – dichtere, gefasste Räume an der Dorfstraße bieten Platz für Begegnungen, während lockerer angeordnete Räume zur Landschaft hin sich stärker mit der Umgebung verzahnen. Die Scheunentypologie bietet große, frei bespielbare Räume, die sich über ein bis zwei Geschosse erstrecken können. Der aussteifende Kern übernimmt alle dienenden Räume.
Den Auftakt an der Dorfstraße bildet ein Ensemble aus Gebäude und öffentlichen Platz, das zugleich als Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft dient. Vorbei an einem Ausstellungsort mit Kantine, führt der Weg am Studiohaus entlang zur Werkhalle. Ein angrenzender Garten beherbergt einen Speicher mit Außenatelier für Workshops. Von dort aus führt der Weg unmittelbar zum Moorpfad, der Einblick in die facettenreiche Moorlandschaft und das Bewirtschaften von Paludikulturen gibt. Die dafür ertüchtigte Infrastruktur bietet neben regulierbaren Stauen und Stauhäusern auch Langhäuser mit Material-Trockenwänden und Aussichtstürme.
Konstruktives Grundmodul mit Gefache
Ein konstruktives Grundmodul verbindet den Entwurf im Dorf mit dem in der Landschaft. Ein Holzfachwerk mit Zangenkonstruktion dient als tragende Grundstruktur, die verschiedene Ausfachungen ermöglicht.
Um das Bauen mit Paludikultur-Materialien zu erforschen und Vertrauen in diese aufzubauen, untersucht der Entwurf verschiedene Module für Ausfachungen. Die „Scheunen“ in Fachwerkbauweise werden, von der Dorfstraße aus, bis hin zum Moor von warm und beständig zunehmend durchlässiger: Und so wird auch das Gefache von dem ersten Modul, das gedämmt und sehr witterungsbeständig ist, immer dünner – bis hin zum vierten Modul, bei dem fast von einer saisonalen Fassadenausfachung gesprochen werden kann.
Die Module sind in Anlehnung an historische Bautechniken und -methoden entworfen und weiterentwickelt. Das Einsetzen eines vorgefertigten Rahmens ermöglicht es, das Gefache teilweise vorzufertigen und die Bauzeit somit zu verkürzen. Diese Konstruktionsart ermöglicht es, eine Vielzahl von Paludikultur-Gefachen zu entwickeln, zu testen und weiterzuentwickeln.
Pflanzenkatalog
Pflanzen, die auf nassen Moorflächen angebaut werden, sind zum Einen wichtig für die Renaturierung des Ökosystems und liefern zum Anderen Materialien als Grundlage für die Weiterverarbeitung zu (Bau-)Produkten. Paludikultur Bauprodukte – aus Schilf (Phragmites australis), Rohrkolben (Typha), Segge (Carex), Weide (Salix), Korbweide (Salix viminalis) oder Erle (Alnus) – finden in verschiedenen Bereichen Anwendung: Von Tragwerk und Struktur über Dämmstoffe bis hin zu Verkleidungen.
Die Master-Thesis wurde von Prof. Jan Kampshoff (Erstgutachter) und Prof. Eike Roswag-Klinge (Zweitgutachter) betreut.