Von der partizipativen Erforschung widerständigen Ankommens geflüchteter Frauen durch Sticken. Masterarbeit von Johanna Köck

Wie kann eine solidarische Architekturpraxis aussehen?

Die Masterarbeit versucht sich vor dem Hintergrund des Erstarkens eines Abwehrnationalismus in Deutschland und Europa dieser Frage anzunähern. In einem partizipativen Verfahren mit geflüchteten Frauen entsteht mithilfe der kollektiven Praxis des Stickens eine Sammlung widerständigen Verortens. Neben der Sichtbarmachung multipler Geschichten des Ankommens, der Solidarität und Selbstermächtigung, aber auch der Hürden und des Scheiterns ergeben sich Erkenntnisse für eine solidarische Architekturpraxis, die in dem Manisoft ihre Materialisierung finden.

Von Rechtsnationalismus und Ohnmachtsgefühlen

Wir leben in einer Zeit der multiplen Krisen. Die Nachrichten überschlagen sich regelrecht mit Naturkatastrophen, Konflikten und Kriegen, weswegen jährlich ein Rekordhoch an weltweiten Flüchtlingszahlen zu verzeichnen ist. Dem einher geht ein Erstarken rechtspopulistischer Strömungen, die nicht nur mit ihrer menschenverachtenden Rhetorik die politische Landschaft verändern, sondern auch vielerorts Wahlen gewinnen und Regierungen anführen. Zeitgleich sind hinsichtlich der Menschenrechte für Frauen herbe Rückschläge zu verzeichnen. Dabei ist festzuhalten, dass antifeministische Einstellungen allen radikalen oder extremistischen Ausprägungen in einem gewissen Grad inhärent sind.

Wie kann ich den Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit im Angesicht dieser Weltlage begegnen? Worin liegt meine politische Handlungsfähigkeit als angehende Architektin?
Was sind die Bedingungen einer feministischen, macht- und selbstkritischen Forschung?

Widerständiges Ankommen

Ein Teil der Masterarbeit beinhaltet das Sammeln und Repräsentieren von Narrativen über Migration aus Betroffenenperspektive. Denn was bedeutet es im Kontext von Flucht, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen? Welche Hindernisse und Ausschlüsse erschweren diesen Prozess und was sind widerständige, emanzipatorische Strategien, um ihnen zu trotzen?

In einem Zeitraum von sechs Wochen wurde in dem Nachbarschaftszentrum Alte Post in Bochum über die Methode des Stickens gemeinsam zu diesen Fragen geforscht. Entstanden sind Stickereien rund um das persönliche Ankommen, die von einer Audioarbeit begleitet werden. Letztere besteht aus einer Sammlung von Gesprächsausschnitten aus der gemeinsamen Zeit. Die diversen Perspektiven stehen zum Teil im direkten Kontext zur Flucht, manche nur indirekt, manche Erfahrungen teilen vornehmlich Frauen, andere stehen für die Alltäglichkeiten im Leben eines Menschen in der Stadt. Ziel war das Portraitieren einer Gruppe von starken Frauen, die trotz (zum Teil traumatischer) Fluchterfahrungen und diskriminierenden Ausschlussmechanismen weitermacht, repariert, heilt und sich insbesondere über den Zusammenhalt und die Gemeinschaft widerständig verortet.

Kollektives Sticken als Methode

Sticken ist eines der ältesten Kulturtechniken der Menschheit und trägt eine lange Geschichte der Kontrolle von Frauen durch häusliche Arbeit. Historisch abgewertet, wurde das Sticken und weitere Textiltechniken in den 1970er Jahren durch Künstler*innen als subversive Kritik an der männlich dominierten Kunsttradition wiederentdeckt. Das kollektive Sticken kann in dieser Tradition eine starke feministische Gegenbewegung darstellen. Es bringt unterschiedlichste Menschen zusammen und kann als gemeinsame, kontemplative Aktivität über kulturelle Grenzen und Sprachbarrieren hinweg ausgeführt werden. Da das Sticken in vielen Kulturen vertreten ist, eröffnet es zudem Räume des Wissenstransfers zu unterschiedlichen Techniken. Auch in dem Trägermaterial Stoff bestehen starke Bezüge zu dem Thema der Thesis. Kleidung hat als Instrument zur Unterdrückung der Frau eine lange Tradition und die Doppelmoral der Unterdrückung der Frau zeigt sich unter anderem an den unterschiedlichen Diskursen über den Hijab – während der Westen sich über Kopftuchpflichten in anderen Ländern echauffiert, wird hierzulande über Verbote debattiert, welche gleichermaßen das Selbstbestimmungsrecht der Frau beschneidet.

Try and Error-Navigation durch die Prinzipien machtkritischer Forschung

Ein weiterer Teil der Arbeit beinhaltet die Erforschung von Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen einer feministischen, machtkritischen Forschung aus Nichtbetroffenenperspektive. Mithilfe von einem Forschungstagebuch, Mappings und postkolonialer feministischer Theorie wird die Forschung stetig selbstkritisch hinterfragt und der Prozess korrigiert und angepasst.

Die sich aus dem Prozess ergebenden Erkenntnisse zu Bedingungen einer solidarischen Architekturpraxis werden in der Grundsatzerklärung unter dem Titel “Manisoft” zusammengetragen. Das Manisoft erhebt im Kontext der Unbeständigkeit dieser Welt für sich den Anspruch, nicht dogmatisch und dadurch blind vor verändernden Rahmenbedingungen zu sein. Es gibt eine Richtung vor, ist fordernd, dabei jedoch auch selbstreflexiv und lernfähig, findet also neue Verknüpfungen, lässt sich auflösen und neu verweben. Es materialisiert sich in den Kernbegriffen Solidarität, Positionalität, Care-Revolution, Hybridität, Postmigration und Intersektionalität, die als großer Teppich wieder auf den Prozess des sich Einrichtens, dem Aufeinandertreffen von Kulturen und soziale Zusammenkunft referieren.

Die Master-Thesis wurde von Prof. Jan Kampshoff (Erstgutachter) und Diana Lucas-Drogan (Zweitgutachterin) betreut.