Fotografische Feldforschung am Stadtrand Berlins.
Masterarbeit von Antonia Leicht

Wir müssen uns mit dem auseinandersetzen, was da ist, um Antworten auf das zu finden, was kommen soll. Hinschauen, dokumentieren, sortieren, kommunizieren. Gebaute und unbebaute Räume aufnehmen und verhandelbar machen.

Inventur der Grenze

Berlin wächst. Es wird von einem angespanntem Markt gesprochen. Dadurch verlagert sich das Interesse zunehmend in die zweite Reihe der Stadt, ehemals des S-Bahn-Rings. Hier ist Berlin, im Gegensatz zur homogenen Innenstadt, reich an diversen Typologien, Lebensentwürfen und Landschaften. Gerade in Zeiten sich überlagernder Krisen stellt sich die Frage, wie sich die Stadt entwickeln kann. In dieser Diskussion ist es unabdingbar, den Rand aktiv mitzudenken. Um Antworten und Strategien für die Zukunft des Randgebiets zu finden, muss man es zunächst verstehen und befragen: Eine Inventur der Grenze.

Fotografien der Grenze, Bild: Antonia Leicht

Versuchsaufbau – Eine Umrandung der Stadt in zehn Abschnitten

In einer performativen fotografischen Feldforschung umrundete ich Berlin an der Stadtgrenze zu Brandenburg. Ein alternativer Blick auf den Stadtrand verhandelt dessen Identität und Potenziale neu. Meine intuitive Wahrnehmung und subjektive Selektion wurden zur Methode. Die visuelle Forschung mittels Fotografie ermöglichte ein aktives Erleben des Untersuchungsgebiets und die systematische Aufnahme von Phänomenen, Atmosphären, Situationen, Details und Brüchen. Parameter waren einerseits die Länge eines Untersuchungsbereiches, andererseits die Anzahl der Fotos, die ich machen konnte. Die Grenze Berlins, die rund 230 Kilometer lang ist, unterteilte ich in zehn Rechercheabschnitte. Pro Abschnitt belichtete ich einen analogen Kleinbildfilm à 36 Fotos. 10 × 23 km × 36 Fotos = 360 Fotos + 360° Grenze.

Fotografien der Grenze, Bild: Antonia Leicht

Ergänzend zur fotografischen Inventur tastete ich die Grenze textlich ab. Zu jedem Abschnitt führte ich ein Tagebuch. Mit einem Glossar der Grenze versuchte ich die Vielschichtigkeit des Begriffs aufzuschlüsseln. Zusammen mit einer zeichnerischen Kartierung des Stadtrands spannte sich der Dialog über diesen auf. In einem Aktenordner dokumentierte ich die Arbeit chronologisch als Archiv der zehn Abschnitte. Ein elftes Heft enthält ergänzende Texte, Zeichnungen und das Glossar der Grenze.

Inventur der Grenze, Bild: Antonia Leicht

Ausstellen + Austauschen

Für die Arbeit entstand eine Ausstellungsarchitektur aus Doppelstabmattenzäunen. Diese Zaunelemente prägen das Bild der Peripherie und werden in diversen Kontexten, vom Eigenheim über landwirtschaftlich genutzte Flächen bis zum Industriegebiet, eingesetzt. In der Ausstellung emanzipierten sie sich von ihrer Funktion und wurden zu Paravents, die raumteilend und raumbildend wirkten – eine doppelseitige, architektonische Grenze mit flexiblem Charakter. Den normalerweise einseitig kommunizierenden Doppelstabmattenzaun codierte ich um und bespielte diesen beidseitig mit großformatigen Fotografien, was die Betrachtung untrennbar mit der Bewegung um den Paravent verband. Hinter jedem Foto verbarg sich ein weiteres.

 

Paravent, beidseitig mit Fotografien bespielt, Bild: Antonia Leicht

Ein Soundscape der isländischen Komponistin und Produzentin Iðunn Iuvenilis ergänzte die Ausstellung. Sie nutzte Field-Recordings, die ich während der Feldforschung an der Grenze Berlin-Brandenburg aufgenommen hatte. Den etwa fünfminütigen Sound-Loop übersetzte Leon Klaßen in eine synchronisierte Website. Das Projekt ist geprägt von diesen (interdisziplinären) Kooperationen und dem anhaltenden Austausch mit dem Fachgebiet DE/CO, was in jeder Hinsicht bereichernd war. Um die Arbeit aus dem universitären Kontext in den realen Stadtraum zurückzutragen, war IS THIS STILL BERLIN im Mai 2023 im Projektraum Aktionshaus in Berlin ausgestellt.

Die Master-Thesis wurde von Prof. Jan Kampshoff (Erstgutachter) und Jan Liesegang (Zweitgutachter) betreut.